STREITBARES VORBILD

SPIEGEL Sport – Beitrag von Sven Simon – 31.08.2009

Nach überstandener Krebserkrankung stand Ademola Okulaja kurz vor der Rückkehr in die Basketball-Nationalmannschaft. Dort könnte der Veteran den Nachwuchsspielern schon bald als Vorbild dienen – trotz gelegentlicher verbaler Aussetzer. Das Basketball-Magazin „FIVE“ hat Okulaja besucht.

Ademola Okulaja grinst. Er grinst schon, während er die große Pranke zur Begrüßung ausstreckt. Sein typisches Ademola-Grinsen. „Alles klar bei dir?“, fragt er. Welch eine Ironie, dass er, der kürzlich noch schwer gezeichnet war, sein Gegenüber nach dem Befinden fragt. „Wieso nicht?“, sagt er. „Mir geht es doch wieder gut.“ So sieht er aus. Vital. Gesund. In Form. Eigentlich wie ein Profisportler.

Rückblick: Im Frühsommer 2008 befindet sich Okulaja auf Mallorca, die Qualifikation für Peking steht an. Der große Traum von den Olympischen Spielen. Dann kommen die Rückenschmerzen. Im Jahr zuvor hatte er sich bei den weichen Matratzen im Hotel über Nacht einen Nerv im Rücken eingeklemmt. „Nicht schon wieder“, denkt er. Sorgen macht er sich keine, ignoriert die Schmerzen im Training. Es hat schon seinen Grund, dass er „Warrior“ genannt wird. Aber als die Physiotherapeuten des Deutschen Basketball-Bundes (DBB) keine Ursache finden, fliegt er nach Köln. Nach den Untersuchungen sitzen ihm mehrere Ärzte gegenüber. „Das ist kein gutes Zeichen“, denkt Okulaja. Es wird ihm eröffnet, dass ein Tumor seinen siebten Brustwirbel zerstört habe, es bereits kleine Metastasen gebe und Eile geboten sei.

Am achten Juli bekommt er die Krebsdiagnose, am neunten fährt er nach Bamberg und erzählt es seiner hochschwangeren Frau, am zehnten wird er 33 Jahre alt, am elften wird der Tumor entfernt und ein künstlicher Wirbel aus Titan eingesetzt. „Alles Gute zum Geburtstag“, denkt er damals.

Okulaja, der Krebspatient 

Zunächst wissen nur Familie und Mitspieler von der Erkrankung, dann entscheidet sich Okulaja, die Öffentlichkeit zu informieren. Obwohl er darum bittet, in Ruhe gelassen zu werden, und keine Interviews gibt, läuft die Medienmaschine schnell an. Okulaja liest nichts davon, lediglich ein wenig Fanpost. Am schönsten findet er den einen Brief mit der rudimentären Adresse. „Ademola Okulaja, Basketballprofi, Bamberg“, steht da drauf. „Da bin ich echt vom Glauben abgefallen, dass das Teil angekommen ist“, sagt er. Obwohl er nicht mitteilt, wie genau die seltene Krebsart heißt, kommen auch Ratschläge aus der skurrilen Ecke. „Da wurde mir dann geraten, bei Vollmond auf dem Kopf stehend frisches Oregano zu kauen oder so was in der Art“, sagt er heute und lacht.

Am siebten August kommt sein zweiter Sohn zur Welt. Bis dahin hatten ihm die Ärzte Aufschub gegeben. Nun startet die dreistufige Chemotherapie. Die Prognosen sind irritierend: Ein Arzt sagt, dass er den Krebs in den Griff bekommen wird, ein anderer fragt ihn, ob ihm bewusst sei, dass er das nicht überleben werde. Nach der hochdosierten Phase der Therapie liegt er in Quarantäne. Nicht mal seine Frau darf anfangs ins Zimmer. Das Immunsystem ist so geschwächt, dass schon ein Schnupfen gefährlich werden könnte. Tagelang hat er Fieber und Schüttelfrost. Für den Hochleistungssportler Okulaja wird schon der Gang zur Toilette zur Qual. „Ich hatte das Telefon auf lautlos gestellt neben meinem Krankenbett stehen, manchmal habe ich es blinken sehen, wenn meine Frau anrief. Nur war ich zu kraftlos, dranzugehen. Obwohl es mir sehr gut getan hätte, mit ihr zu sprechen“, sagt er später im „Stern“-Interview.

Okulaja, der Kämpfer

Durch die vielen Medikamente ist sein Körper aufgeschwemmt. 117 Kilogramm bringt er zwischenzeitlich auf die Waage – Doppelkinn inklusive. Das habe ihn als jemanden, der immer auf seinen Körper geachtet habe, trotz der lebensbedrohlichen Krankheit gestört, sagt er heute. Seine Frau habe darauf aber nur belustigt gesagt, dass sie so zumindest jetzt schon wisse, wie er als alter Mann aussehen werde.

Profi Okulaja: Aus der Therapie ins Musikbusiness

Die Therapie schlägt gut an, sein Körper erholt sich schnell. Die Krebsart sei nicht komplett heilbar, sagt er. Aber man könne quasi die Pausetaste drücken. Alle drei Monate wird sein Blut seitdem untersucht. Bisher gebe es keine Anzeichen für einen neuen Ausbruch. Er habe mal gelesen, dass die mittlere Lebenserwartung bei seiner Krebserkrankung bei etwa fünf Jahren liege. „Aber das waren fast ausschließlich ältere Menschen und keine Leistungssportler wie ich“, sagt er. „Außerdem sind das nur Statistiken.“

Okulaja, der Geschäftsmann

Heute bewegt sich Okulaja sicher in seiner neuen Umgebung, die irgendwie nicht so recht zu ihm passen will. Berlin-Kreuzberg, einer der Hinterhöfe am Osthafen. Alte Gebäude, direkt am Spreeufer, hier und da von einem wahrscheinlich bekannten Architekten veredelt. In der Hauptstadt ist dies die neueste Lieblingsheimat der Kreativen.

In einem der alten Gebäude sitzt Okulajas Firma Streetlife Entertainment. Die gründete er vor fünf Jahren mit einem Freund. Das Unternehmen arrangiert in Europa vor allem Auftritte für Rapper wie Busta Rhymes, DMX, Missy Elliott und 50 Cent, produziert auch selbst Musik. Bisher war Okulaja stiller Teilhaber, nun steigt er aktiv mit ein. „Da gibt es verdammt viele Sachen, die ich lernen muss“, sagt er. „Aber ich sehe das als gute Investition für die nächsten Schritte meiner beruflichen Karriere.“

Kürzlich hat er ein Fernstudium für Sportmarketing und Kommunikation über sechs Monate an der Universität von Venedig abgeschlossen. An seinem zur Abschlussprüfung eingereichten Konzept zur besseren Vermarktung von Basketball in Europa zeigt die Euroleague großes Interesse. Wenn er vor seinem Schreibtisch stehend davon erzählt, erinnert kaum etwas an Okulaja, den Basketballprofi. Außer hinten links im Büro der lebensgroße Pappaufsteller von sich selbst als Nationalspieler.

Okulaja, der Kosmopolit

Draußen auf der Straße zeigt sich, dass die Gegend doch gut zu ihm passt. Es herrscht urbanes Treiben, Kreuzberger Allerlei. In der Vielfalt und dem Grundchaos einmalig in Deutschland. Türkisch und Englisch als gleichberechtigte Sprachen neben Deutsch. Mit seiner Frau und den Söhnen Adeisaiya und Adenoah wohnt er wie einige andere Nationalspieler auch im gepflegten Wilmersdorf, aber Kreuzberg passt irgendwie besser zum Kosmopolit Okulaja. Zu ihm, der mit drei Jahren aus dem nigerianischen Lagos nach Berlin kommt und über den Streetball zum Profisport findet. Der an der deutsch-amerikanischen John-F.-Kennedy-Schule in Berlin neben Botschafterkindern erst sein Highschool-Diplom, dann sein Abitur macht und später zudem noch fließend Spanisch spricht. Der über seine 20-jährige Karriere hinweg außer in Deutschland in den USA, Spanien, Italien und Russland aktiv war.

Vor ihm auf dem Tisch liegen Fotos aus seiner Karriere. Im Trikot des FC Barcelona. An der Seitenlinie, wie er Dean Smith, der Trainerlegende aus North Carolina, zuhört. 1995 als 19-Jähriger bei Alba Berlin, wie er den Korac Cup küsst. „Mann, guck mal: Da habe ich sogar noch Haare“, brüllt er und lacht.

Lesen Sie im zweiten Teil des FIVE-Artikels über Ademola Okulaja: Warum der Forward gerne mit seinen Trainern aneinander geriet – und wie die Chancen auf ein Comeback im Profi-Basketball stehen.